"Wir stehen vor Veränderungen, die nur gemeinsam gelöst werden können."

Prof. Alexander Brink; Quelle: privat

Am 13. und 14. November 2023 trifft sich die Mobilitätsbranche in Frankfurt am Main: Dann veranstalten die Deutsche Verkehrswissenschaftliche Gesellschaft (DVWG) und ihre Partner, der Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) und die Messe Frankfurt, zum neunten Mal den Deutschen Mobilitätskongress. 

Die Keynote hält Alexander Brink, Professor für Wirtschafts- und Unternehmensethik im „Philosophy & Economics“-Programm der Universität Bayreuth. „Twin Transformation. Werte als Schlüsselfaktor für die erfolgreiche Zwillingstransformation aus Digitalisierung und Nachhaltigkeit“, lautet sein Thema. Was versteht Prof. Alexander Brink unter Twin Transformation? Inwiefern ist es wichtig, die Entwicklungen an Werten auszurichten? Und inwiefern kann die Mobilitätsbranche von solcher Arbeit profitieren? Darüber sprach Georg Kern von Mobility Impacts mit dem Experten für Wirtschaft und Ethik.

Mobility Impacts: Herr Professor Brink, was bedeutet Twin Transformation?

Alexander Brink: Der Begriff beschreibt die industrielle Umwälzung, die wir gegenwärtig erleben – und setzt sie in eine historische Perspektive. Während die erste industrielle Revolution im 19. Jahrhundert noch geprägt war vom Aufkommen der Dampfmaschine, sind Digitalisierung und Nachhaltigkeit bestimmend für die vierte und fünfte industrielle Revolution – diejenige Transformationsphase also, die wir derzeit durchschreiten. Nachhaltigkeit und Digitalisierung sind für Organisationen und Gesellschaft zugleich entscheidende Erfolgstreiber der Zukunft. Wer beide Transformationen zusammen angeht, ist wirtschaftlich erfolgreicher und leistet gleichzeitig einen Beitrag für eine soziale und ökologische Entwicklung. Das ist meine Überzeugung!

Dabei haben Digitalisierung und Nachhaltigkeit ja ursächlich erst einmal nichts miteinander zu tun.

Das ist richtig. In der Praxis aber lassen sich beide Entwicklungen oft nicht klar voneinander trennen. Wenn Sie in Unternehmen heute Arbeitsprozesse, Produkte oder Dienstleistungen digitalisieren, wären sie schlecht beraten, sich nicht gleichzeitig auch Gedanken über Nachhaltigkeit zu machen. Digitalisierung um ihrer selbst Willen ist noch kein sinnvolles Unternehmensziel. Es geht darum, sich mit klaren Werten und Zielen vor Augen zu digitalisieren – und das ist heute eben die nachhaltige Gesellschaft, die zunehmend Wert auf nachhaltige Praktiken legt und dadurch andere Marktanforderungen und -erwartungen setzt.

Mobility Impacts: Klingt sehr theoretisch. Was bedeutet das für Unternehmen in der Praxis?

Das geht mit tiefgreifenden Veränderungen einher. Wir erleben eine Entwicklung weg von der Wettbewerbs- hin zur Kooperationsökonomie. Nehmen wir ein Beispiel aus der Mobilität: Autohersteller sehen sich heute mit ganz neuen Geschäftsmodellen konfrontiert. Sie wollen zwar auch weiterhin möglichst viel Umsatz machen, sie müssen sich aber gleichzeitig mit Trends wie Car Sharing auseinandersetzen. Dabei kann es unternehmerisch verhängnisvoll sein, solche Trends zu ignorieren oder gar zu bekämpfen. Sinnvoller ist es, diese Entwicklungen frühzeitig in die strategische Ausrichtung der Unternehmen aufzunehmen und sich zu überlegen, wie man von diesen Trends profitieren kann.

Reagieren Unternehmen in Deutschland schon angemessen auf die Entwicklung hin zur Kooperationsökonomie?

Insgesamt gesehen stehen wir hier sicher noch am Anfang. Aber man darf auch die Erfolge nicht übersehen. So entwickeln inzwischen so gut wie alle großen Autohersteller alternative Mobilitätskonzepte, mischen bei Themen wie Car Sharing oder Mobility-as-a-Service mit. Solche Initiativen weisen in die richtige Richtung.

Fallen Ihnen auch Beispiele ein von Unternehmen, die hier Entwicklungen verschlafen – gerne auch aus dem Mobilitätsbereich?

Schmunzeln muss ich schon, wenn ich lese, mit welcher Vehemenz sich die Deutsche Bahn im Online-Fahrkartenvertrieb gegen Drittanbieter wehrt. Hier werden Chancen für die Entstehung alternativer Mobilitätskonzepte verschenkt, etwa im intermodalen Bereich. Natürlich hätte es für die DB auch Nachteile, wenn Wettbewerber im Fahrkartenvertrieb stärker werden. Aber diese Entwicklungen sind nicht aufzuhalten. Es ist besser, sich darauf einzulassen und sie mitzugestalten. Darin liegen ja auch neue unternehmerische Möglichkeiten. Auch traditionelle Taxiunternehmen haben die Anpassung an digitale Plattformen verschlafen und werden von Uber, Lyft und anderen förmlich überrollt.

Sind andere Wirtschaftssektoren besser bei der Umsetzung und Gestaltung der Twin Transformation?

Die Zwillingstransformation hat gerade erst begonnen. Wir stehen vor großen Veränderungen, die nur gemeinsam, also branchenübergreifend, gelöst werden können: zum Beispiel über digitale Ökosysteme. Allerdings gibt es viele schöne Beispiele aus unterschiedlichen Wirtschaftsfeldern für einen produktiven und verantwortungsvollen Umgang mit der Twin Transformation. Ich verweise in dem Zusammenhang gerne auf die Corporate-Digital-Responsibility-Initiative (CDR) des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV), deren Geschäftsstelle wir als CONCERN GmbH gemeinsam mit unserem Partner, der ConPolicy GmbH, betreiben.

Worum geht es bei dieser Initiative?

Die CDR-Initiative des BMUV fördert Unternehmensverantwortung im digitalen Wandel. Die Initiative wurde 2018 als Lern- und Austauschplattform gemeinsam mit Unternehmen gestartet. Ziel der Initiative ist es, digitale Verantwortung zu einer Selbstverständlichkeit für Unternehmen aller Branchen werden zu lassen. An der CDR-Initiative nehmen renommierte Unternehmen wie Deutsche Telekom, Barmer, ING Bank, Zalando, DKB, Weleda, Otto Group oder Telefónica Deutschland teil. Interessant übrigens, dass hier noch kein Mobilitätsunternehmen vertreten ist. Das ist erstaunlich, sind doch Fragen der verantwortlichen Digitalisierung gerade in dieser Branche hochaktuell. Im Rahmen der CDR-Initiative werden konkrete Maßnahmen zum Umgang mit der Twin Transformation entwickelt und umgesetzt. Dabei wird der Begriff der Nachhaltigkeit nicht nur auf umweltpolitische Aspekte bezogen, sondern im Sinne der „17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen“ viel weiter verstanden, etwa auch als soziale Nachhaltigkeit. Damit kommen Themen wie Gesundheit und Bildung ins Spiel.

Können Sie ein Beispiel sozialer Nachhaltigkeit nennen, wie in diesen Unternehmen die Twin Transformation umgesetzt wird – vielleicht in der digitalen Bildung?

Ein schönes Beispiel findet sich unter anderem bei Otto. Die Initiative TechUcation gibt den Anstoß zu einer neuen Lernkultur, die ein selbstorganisiertes Lernen und die Entwicklung eigenverantwortlicher Lernkompetenzen im Unternehmen fördert. Denn auch darauf kommt es in diesen Zeiten des Umbruchs an: die Mitarbeiter auf dem Weg der Twin Transformation ausreichend mitzunehmen. Transformation gelingt nicht gegen, sondern nur mit der Ökonomie. Solche Maßnahmen machen Unternehmen ja wettbewerbsfähiger, etwa mit Blick auf den Fachkräftemangel. Die Mitgliedsunternehmen legen diese wichtigen Maßnahmen in einem CDR-Bericht offen und senden damit ein wichtiges Signal. In einem Punkt gibt es übrigens keine zweite Meinung: Im Mittelpunkt der Twin Transformation sollte letztlich immer der Mensch stehen. Es geht um das ethische Prinzip der Menschenorientierung, eines von neun Prinzipien, die die Mitgliedsunternehmen teilen. Wer es schafft, digitale Prozesse menschenorientiert zu gestalten, der ist für die Zukunft gut gerüstet.

Vielen Dank für das Interview.

 

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Plattform für die Zukunft von Verkehr und Mobilität

Am 13. und 14. November 2023 bitten die Deutsche Verkehrswissenschaftliche Gesellschaft (DVWG) sowie ihre Partner, der Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) und die Messe Frankfurt, zum Deutschen Mobilitätskongress in Frankfurt am Main. Es ist bereits die neunte Veranstaltung dieser Art. Das Event versteht sich als zentrale Plattform, auf der die Debatte über die Zukunft von Verkehr und Mobilität branchen- und disziplinübergreifend geführt wird. Dieses Jahr steht der Kongress unter dem Motto „Potenziale der Digitalisierung für nachhaltige Mobilität und Logistik“. Dabei bietet das Event unter anderem Expertendialoge, Keynote-Reden und Podiumsdiskussionen. Zu den Teilnehmern gehört beispielsweise Daniela Gerd tom Markotten, Vorständin für Digitalisierung und Technik der Deutschen Bahn. Sie stellt sich am ersten Tag der Veranstaltung Fragen zum Thema „Digitalisierung: Zukunftsszenario oder Realität?“. Vor dem Auftritt der Top-Managerin ist eine Podiumsdiskussion zu „Digitalisierung im Mobilitäts- und Logistiksektor – Anschluss verpasst?“ geplant, an der unter anderem Dirk Freytag, Präsident des Bundesverbands für Digitale Wirtschaft teilnimmt sowie Prof. Knut Ringat, Vizepräsident des VDV und Geschäftsführer des RMV. Am Nachmittag wird in der Paulskirche der Innovationspreis der deutschen Mobilitätswirtschaft verliehen. Der zweite Tag steht im Zeichen von künstlicher Intelligenz sowie unter anderem einem Polittalk zum ÖPNV der Zukunft. Mit dabei sind beispielsweise Prof. Martin Maslaton, Branchenverband Zivile Drohnen, Francois Bausch, Luxemburgs Minister für Mobilität, sowie Jens Deutschendorf, Staatssekretär im Hessischen Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen. Ebenfalls Teil des Programms ist eine Podiumsdiskussion über Cybersicherheit. Weitere Informationen zum Event, das auch von Mobility Impacts unterstützt wird, finden Sie unter:

www.deutscher-mobilitätskongress.de

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Artikel Redaktion Mobility-Impacts
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