Mobilitätsbudget: Katalysator für die Verkehrswende?

Was würden die 33 % der Dienstwagennutzer, die von Veränderungen ausgehen, tun, um einer Mobilitätswende gerecht zu werden? Quelle: Dataforce Verlagsgesellschaft für Business Informationen mbH

Sowohl die Möglichkeiten, sich fortzubewegen, als auch der Bedarf an Mobilität in der Bevölkerung unterliegen derzeit einem starken Wandlungsprozess. Jahrzehntelang waren der ÖPNV und der private Pkw neben dem Fahrrad für Kurzstrecken die einzigen Alternativen, um von A nach B zu kommen. In den letzten Jahren haben sich immer mehr neue Mobilitätsangebote etabliert.

Car-, Bike- und Scootersharing- sowie Ridepooling-Angebote sind heute aus vielen Städten kaum noch wegzudenken. Gleichzeitig ändert sich der Mobilitätsbedarf in der Bevölkerung: Viele Menschen wohnen mittlerweile nicht mehr in den Stadtzentren, sondern in den günstigeren Randgebieten von Großstädten oder gar ganz außerhalb und müssen somit auch längere Strecken auf dem Weg zur Arbeit überwinden. Zusätzlich gepusht durch die Pandemie sorgen Homeoffice-Angebote von Unternehmen für einen stärkeren Bedarf an flexiblen, anpassungsfähigen Mobilitätslösungen. Um diesen Veränderungen auf der Angebots- und Bedarfsseite gerecht zu werden, müssen sowohl das Gesamtangebot der Mobilität als auch die Konzepte neu gedacht werden. Daraus ergeben sich sowohl für die Arbeitgebenden als auch für den Gesetzgeber verschiedene Handlungsfelder.

Neue Konzepte für Mobilität – das kann auch ein sogenanntes Mobilitätsbudget sein. Was genau verbirgt sich dahinter? Ein Mobilitätsbudget ist ein Bündel von Mobilitätsdienstleistungen und Verkehrsmitteln. Dabei handelt es sich um einen Anwendungsfall aus dem Bereich „Mobility-as-a-Service“ (MaaS). Es geht also weniger um den Besitz einzelner Verkehrsmittel als vielmehr um die situative, flexible und bedarfsgerechte Nutzung von Mobilitätsangeboten. Für ein Mobilitätsbudget gibt es keine definierte Norm. Es beinhaltet beispielsweise Jobtickets und Budgets für Sharing-Angebote. Genauso gut können aber auch die Monatsbeträge für ein Dienstfahrrad, ein Auto-Abo oder der monatliche Anteil einer Bahncard enthalten sein. In ihrer Höhe variieren Mobilitätsbudgets in Abhängigkeit von der Zielgruppe im Unternehmen. Sofern Mitarbeitende Dienstreisen absolvieren müssen, sind gesonderte Budgets festzulegen – für die dienstliche und für die private Mobilität. Den privaten Anteil müssen Mitarbeitende mit dem Individualsteuersatz oder pauschal versteuern.

So funktioniert das Mobilitätsbudget

Für die Abwicklung von Mobilitätsbudgets gibt es zwischenzeitlich eine Reihe von Anbietern. Sie erfolgt ausnahmslos auf B2B-Basis, also für Geschäftskunden. Die Anbieter lassen sich grob in drei Kategorien einordnen:

  1. Kreditkartenanbieter, die ihren Kunden für deren Mitarbeitende Prepaid-Karten zur Verfügung stellen, mit denen Mobilitätskosten bezahlt werden.
  2. Belegscan-Anbieter, bei denen die Mitarbeitenden eine App nutzen, mit der sie ihre Kostenbelege scannen und zur steuerlichen Prüfung und Verbuchung weiterleiten.
  3. Plattformanbieter, die es den Nutzern und Nutzerinnen ermöglichen, verschiedene angeschlossene Mobilitätsleistungen über ein zentrales Kundenkonto wahrzunehmen und auch zu bezahlen.

Vorteile eines Mobilitätsbudgets

Unternehmen nutzen Mobilitätsbudgets für ihre Mitarbeitenden vor allem, um ihre Attraktivität im Kampf um die besten Talente zu steigern, aber auch, um ihre in vielen Fällen zwischenzeitlich ehrgeizigen Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Da Mobilitätsbudgets über eine hohe Anpassungsfähigkeit verfügen, unterstützen sie auch bei der Reduktion von Kosten: Nicht benötigte Services verursachen in vielen Fällen – im Unterschied zu fixen Kfz-Leasingraten – keine oder nur geringe Kosten. Auch auf Ziele des Gesundheitsmanagements zahlt ein Mobilitätsbudget günstig ein: Wer (mehr) zu Fuß geht und/ oder Fahrrad fährt, baut bei der Bewegung nicht nur Kalorien, sondern auch Stress ab.
Aktuell wird ein Mobilitätsbudget von Arbeitgebenden überwiegend noch als Alternative zum klassischen Dienstwagen angeboten. Dass dafür auch eine Nachfrage entsteht, hat die Dataforce Verlagsgesellschaft für Business Informationen in ihrer Studie aus November 2020 festgestellt: Rund 15 % der Dienstwagennutzenden können sich vorstellen, auf ihren Dienstwagen zu verzichten. [1] Einige Unternehmen prüfen bereits, ob sie ein solches Angebot der
gesamten Belegschaft etwa in Verbindung mit Jobtickets zur Verfügung stellen.

Herausforderungen für Arbeitgebende

Obwohl die Arbeitgebenden im starken Wettbewerb zueinander auf dem Arbeitnehmermarkt stehen und zusätzliche Anreize über das klassische Gehalt hinaus wie etwa ein Mobilitätsbudget daher immer wichtiger werden, sind viele Unternehmen noch sehr zurückhaltend bei dieser Form von Benefits für Mitarbeitende. Woran liegt das? Wenn schon das Jobticket, welches zwar steuerfrei ist, aber aufgrund der vielen regionalen Unterschiede in der Abwicklung insbesondere für überregional agierende Unternehmen eine Herausforderung ist, so führen Mobilitätsbudgets aufgrund der unterschiedlichen Besteuerungsansätze
der einzelnen Mobilitätsangebote und Nutzungsformen erst recht zu einem nicht unerheblichen Verwaltungsaufwand. Ein Beispiel: Entscheidet sich ein Unternehmen, seinen Mitarbeitenden neben dem Jobticket auch einen Betrag für Sharing-Mobilität anzubieten, kommt für diese der Individualsteuersatz oder zumindest der Pauschalsteuersatz in Höhe von immerhin noch 30 % zum Tragen. Gerade wenn ein Mobilitätsbudget nicht nur als Ersatz für das Dienstwagenangebot, sondern für deutlich mehr Mitarbeitende eingeführt werden soll, bedeutet dies für viele Betriebe hohe Kosten, die nicht zuletzt durch zusätzlich notwendige Mitarbeitende zur Verwaltung und Abrechnung verursacht werden. Dass dies für die Arbeitgeberunternehmen keine Option ist, liegt auf der Hand. Gleichzeitig werden sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Nachhaltigkeitsberichterstattung für Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden ändern: Entsprechend der kommenden EU-Richtlinie – derzeit geplant ab 2023 – werden Arbeitgebende im Kontext der betrieblichen Mobilität erstmalig auch zur Pendlermobilität ihrer Mitarbeitenden berichten müssen. Die Möglichkeiten, hier adäquate umweltfreundliche Alternativen im Bereich der betrieblichen Mobilität sinnvoll und kostenneutral anzubieten, sind aber aus zuvor beschriebenen Gründen noch sehr schwierig. Hierfür bedarf es eines entsprechenden Rahmens, der die steuerliche und/oder administrative Abwicklung für Arbeitgebende vereinfacht. Gefordert sind also sowohl Unternehmen als auch der Gesetzgeber, damit der Umstieg auf nachhaltige betriebliche Mobilität gelingt.

Anforderungen an den Gesetzgeber

Um die Einführung eines Mobilitätsbudgets in Unternehmen zu fördern, ist der Gesetzgeber gefragt, die Grundlagen zu schaffen, die es den Unternehmen ermöglichen, ihren Mitarbeitenden derartige Zusatzleistungen zum Gehalt mit möglichst geringem administrativem Aufwand anzubieten. In erster Linie bedeutet dies eine steuerliche Vereinheitlichung der unterschiedlichen Mobilitätsangebote und Nutzungsformen. Keine Unterscheidung der Besteuerung bedeutet im Kontext des Jobtickets eine Steuerfreistellung von Sharing- und Pooling-Diensten und somit einer Gleichbehandlung dieser gegenüber dem klassischen ÖPNV-Angebot. Auch wenn die Begriffe „Verkehrswende” und „Mobilitätswende” im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung für die Jahre 2021 bis 2025 nicht vorkommen, so hat sie sich doch die Aufgabe gestellt, eine nachhaltige, barrierefreie, innovative und für alle alltagstaugliche sowie bezahlbare Mobilität zu ermöglichen.
Gerade eine Bezuschussung durch Arbeitgebende würde hier einen sinnvollen Anreiz schaffen, damit Mitarbeitende ihr Mobilitätsverhalten ändern und insbesondere für den Weg zur und von der Arbeit öffentliche und geteilte Mobilitätsangebote anstelle des privaten Pkw nutzen.

Mobilitätsbudget allein bringt noch keine Mobilitätswende

Auch wenn einem Großteil der Bevölkerung ein Mobilitätsbudget zur Verfügung gestellt wird, wird dies nicht reichen, um das Mobilitätsverhalten nachhaltig zu verändern. Das Mobilitätsbudget ist lediglich eine Form der Finanzierung der eigenen Mobilität, genau wie Mobilitätsplattformen und Mobility-Apps lediglich ein Zugang zu öffentlicher und geteilter Mobilität sind. Um Veränderungen im Mobilitätsverhalten zu erreichen, muss zusätzlich das Angebot an Mobilitätsdiensten angepasst und ausgeweitet werden. Solange das Angebot nicht den Bedürfnissen der Bevölkerung und deren Lebenssituationen entspricht, bringt ein vorhandenes Budget zur Nutzung nichts.
Deshalb ist die Politik auch hier gefragt: Zielbilder für die Mobilität in einer Stadt oder Kommune müssen entworfen werden. Was wird benötigt, um in der Stadt oder Kommune gut mobil zu sein? Zwingend ein eigenes Auto? Oder kann stattdessen ein gut ausgebauter ÖPNV, ergänzt um On-Demand-Shuttle- und -Sharing-Angebote, die Mobilitätsbedürfnisse befriedigen? Wenn Mobilität auch ohne eigenes Auto funktionieren soll, sind attraktive Alternativen erforderlich. Idealerweise entstehen Mobilitätsstationen für Sharing-Angebote in Verbindung mit On-Demand-Shuttles und dem ÖPNV – alles in Kombination mit den entsprechenden digitalen Zugängen zu den Mobilitätslösungen. Unternehmen, die ihren Mitarbeitenden Mobilitätsbudgets anbieten wollen, werden diese Angebote und Lösungen aktiv bei der Politik beziehungsweise der städtischen Verwaltung nachfragen. Ein enger Austausch zwischen Politik, Verwaltung und Wirtschaft ist deshalb erforderlich. Die Bereitschaft der Unternehmen, der eigenen Belegschaft entsprechende Angebote zu unterbreiten, zeigt eine Umfrage des Smart Mobility Institute in Zusammenarbeit mit dem niederländischen Fleet&Mobility-Magazin aus Juni 2021: 45 % aller befragten Unternehmen gaben an, dass sie ein Mobilitätsbudget einführen werden. [2] Dies gilt im Übrigen analog auch für den ländlichen Raum. Sharing oder Pooling-Angebote sind in diesen Regionen bisher in der Regel überhaupt nicht verfügbar. Sie in der Region zu etablieren, ist Aufgabe von Politik und Verwaltung. Dazu sind öffentlichen Aufträge zu erteilen – bedeutet: Sharing- und Pooling-Dienste müssen öffentlich ausgeschrieben und bestellt werden.
Mobilitätsbudgets können einen entscheidenden Beitrag zur Verkehrs- beziehungsweise Mobilitätswende und damit zum dringend notwendigen Stopp des Klimawandels leisten. Dies gelingt unter anderem, wenn der Gesetzgeber geeignete steuerliche Incentivierungen aufsetzt sowie für administrative Vereinfachungen sorgt. Arbeitgebende können diesen Prozess intensiv unterstützen, indem sie ihren Mitarbeitenden Mobilitätsbudgets anbieten: zum einen als attraktive Alternativen zum Dienstwagen und zum anderen auch in Verbindung mit Jobtickets als Lösung für nachhaltige Pendlermobilität. Ziel sollte sein, sowohl in der Stadt als auch auf dem Land problemlos ohne eigenes Auto mobil sein zu können. Und dabei geht es um kein geringes Thema als das Klima – unsere Lebensversicherung.

 

Quellen

[1] www.dataforce.de/leasing-analyse-2020/


[2] www.fleeteurope.com/en/maas/smart-mobility/europe/features/45-corporates-planintroduce-micro-mobility-part-their-comp-ben-policy-2023

 

Der Beitrag erschien zuerst in Mobility Impacts 1/2022.

Autoren

Michael Gross

Geschäftsführer METAMORPHIO GmbH, Hamburg
michael.gross@metamorphio.com

Sylvia Lier

Expertin für multimodale Personenmobilität, Köln
sylvia.lier@netcologne.de

New Mobility
Artikel von Michael Gross und Sylvia Lier
Artikel von Michael Gross und Sylvia Lier